Freitag, 3. Juni 2011

18 Jahre alt - Spiegel

Ich habe mir heute die Haare schneiden lassen. Aber ich wollte nicht in den Spiegel schauen. Ich mag es nicht, mich mit diesem nüchternen Ausdruck zu sehen. Mein selbstgefälliges Lächeln und das Gesicht mit festgeschlossenen Augen, was ich immer anderen Menschen zeige, die es nicht wert sind, angesehen zu werden. Jedoch gibt es einen großen Wandspiegel im Rehabilitationsraum. O-Sensei sagte, dass ich mich anschauen sollte, um die Dinge zu auszubessern, die an meiner Haltung falsch sind. In meinem Kopf habe ich ein Bild von mir als normales gesundes Mädchen. Aber im Spiegel sehe ich nicht so hübsch aus. Meine Wirbelsäule ist verbogen und der obere Teil meines Körpers neigt nach vorne. Es gibt nichts, was ich tun kann, außer zuzugeben, dass es nun einmal Tatsachen sind. So sehr ich es allerdings versuche, ich kann immer noch nicht alle Hoffnung verwerfen, meiner Behinderung zu entfliehen. Ich möchte wenigstens eine Sache erreichen – dass ich dank meine strengen Rehabilitation dazu in der Lage bin, etwas zu tun, was ich vorher nicht konnte.
Ich nahm die Herausforderung an, meinen Körper mit Willenskraft zu erobern. Aber ich scheiterte. Mein Gesicht erblasste und ich fühlte mich krank. Ich gab auf. Ich erkannte, dass ich mir mein eigenes Grab schaufelte.
„Sei vorsichtig, übertreib es nicht.“

Ich fiel heute in der Toilette hin und schlug meinen Kopf böse an. Da war keine Beule, aber ich hatte schreckliche Kopfschmerzen. Ich dachte, ich sterbe.
Draußen kam ein Blitz auf und wir konnten Donner hören. Ich ging in meinem Rollstuhl zum öffentlichen Telefon auf dem Flur und rief zu Hause an. Okaasan nahm ab.

„Aya, ich freue mich auf Sonntag“, sagte sie, „Wir haben bis dahin nur noch drei Tage. Was möchtest du, das ich dir mitbringe? Ich werde deine Wäsche für dich waschen. Kannst du den Donner hören?“
„Hmm, ja“, antwortete ich gleichgültig.
„Jetzt kann ich sterben“, dachte ich.

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